Keine Kumpanei mit linken Antisemit:innen!
“Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Antizionismus wie das Gewitter in der Wolke“ (Jean Amery, 1969).
Über 1200 Israelis wurden durch die islamistische Hamas seit dem 7. Oktober ermordet, die meisten davon am ersten Tag des antisemitischen Terrors. Es gab zahlreiche Massaker, darunter eines an etwa 260 Besucher:innen eines Musikfestivals im Süden Israels. Die Misshandlungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen dauerten stundenlang. Auch an vielen anderen Orten wurden jeweils Dutzende Israelis ermordet, allein im Kibbuz Beeri fand man über 100 Leichen. Die Hamas hat selbst Kleinkinder enthauptet oder vor den Augen ihrer Eltern erschossen, hat ganze Familien in ihren Häusern massakriert, Granaten in Bunker voller verängstigter Menschen geworfen und mindestens 240 Israelis in den Gaza-Streifen entführt, wo sie wie Trophäen präsentiert wurden und schwer misshandelt werden.
Die Bilder waren und sind unerträglich. Hinzu kommt der immer noch andauernde Raketenterror der Hamas, die schlichtweg hofft, irgendwen zu treffen. Nie ist deutlicher geworden, was IslamistInnen mit der nicht nur von ihnen genutzten Parole „from the river to the sea – palestine will be free” meinen – sie wollen die unterschiedslose Vernichtung aller Jüdinnen:Juden in Israel.
Um weiteren Terror zu verhindern, führt Israel inzwischen Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen. Dabei ist die Situation der dortigen Bevölkerung zweifelsohne katastrophal. Die Konsequenz dessen kann aber nicht die Forderung sein, dass Israel darauf verzichtet, sich zu verteidigen. Die Hamas könnte den Krieg beenden, indem sie die Waffen niederlegt und alle Geiseln freilässt. Ägypten könnte seine Grenze öffnen, damit die Menschen in Gaza eine Möglichkeit haben, sich in Sicherheit zu bringen. Stattdessen nutzt die Hamas die Bevölkerung Gazas nachweislich als menschliches Schutzschild, indem sie beispielsweise Krankenhäuser für militärische Zwecke verwendet. Dabei entstehen jene Bilder ziviler Opfer, die die Hamas für ihre auch in westlichen Medien oft unkritisch übernommene Propaganda will und benötigt.
Anstatt von der Hamas die Freilassung der Geiseln und von Ägypten die Öffnung seiner Grenze zu fordern, beteiligen sich derweil wie schon in der Vergangenheit einige linke Gruppen hierzulande an antisemitischen Demonstrationen, von denen eine Gefahr für Jüdinnen:Juden ausgeht – als seien der Raketenterror und die Massaker, mit denen dieser Krieg anfing, bereits vergessen. Wir rufen in diesem Zusammenhang dazu auf, sich mit den jüdischen Gemeinden zu solidarisieren und bei antisemitischen Protesten Gegenaktionen zu organisieren.
Während am 7.10. die Massaker durch die Hamas noch anhielten, verteilte in Berlin das inzwischen verbotene Netzwerk Samidoun, eine Vorfeldorganisation der terroristischen PFLP, zur Feier des Tages Süßigkeiten auf der Straße. Am gleichen Tag hielt ein Vertreter der Gruppe beim „Kommunismus Kongress“ in Berlin einen Vortrag über den „palästinensischen Widerstand“. Das trotzkistische „Nachrichtenportal“ Klasse gegen Klasse veröffentlichte am Tag des Angriffs der Hamas einen Artikel mit dem Titel „Palästinensischer Widerstand erschüttert Israel: Solidarität mit dem Befreiungskampf.“ Darin heißt es, Israel habe „das Ausmaß des Widerstands nicht kommen sehen, ein gewaltiges Fiasko für den Apartheidstaat und eine Prestigeoperation für den palästinensischen Widerstand.“
Die in vielen Städten aktive Organisation Palästina spricht schrieb derweil anlässlich des Terrors der Hamas: „Wir sind überwältigt. Das ist das erste Mal in der Geschichte unseres Kampfes gegen die Kolonisierung […], dass Palästinenser eine Stadt von den Siedlern zurückerobert haben.“ Die Palästinenser hätten „nicht nur das Recht auf Widerstand, sondern auch auf die Befreiung unseres Landes von der zionistischen Kolonisierung“.
Der feministische Streik Bonn teilte ein von Palästina spricht verbreitetes Bild von Gleitschirmfliegern als Anspielung auf die Terroristen der Hamas, die auf diese Weise in Israel eindrangen. Daneben steht der Text: „a lesson in liberation from gaza“. Selbst wenn zunächst das ganze Ausmaß der Massaker noch nicht bekannt war, wusste man, dass die Angriffe von der islamistischen und antisemitischen Hamas ausgingen. Man wusste vom Raketenterror und es gab bereits Berichte über bewaffnete Terroristen, die durch israelische Städte zogen und Menschen ermordeten und verschleppten. Trotzdem gab es spontan, aber auch später, zahlreiche Sympathiebekundungen linker Gruppen für den Terror der Hamas.
Am 8.10. veranstalteten in Köln die Gruppen Young Struggle und Zora ein Seminar und eine anschließende Kundgebung mit Samidoun. Man stehe „geschlossen hinter dem palästinensischen Befreiungskampf, der legitim ist.“ Zwei Tage später hieß es seitens Young Struggle: “Leider haben Unterdrückte keine Hightech-Waffen, mit denen sie zivile Ziele umgehen könnten” – als bestünde die beste Strategie gegen antisemitische Mörderbanden darin, sie besser zu bewaffnen. Die Ermordung von Zivilist:innen sei zwar zu verurteilen, bleibe aber, so die Gruppe, „in asymmetrischen Befreiungskämpfen – leider! – nicht aus.” Das „leider” hätte man sich sparen können, verklärt man doch im gleichen Atemzug den Terror zur Zwangsläufigkeit innerhalb eines zu begrüßenden „Befreiungskampfes”.
In einem Beitrag der Gruppe Zora hieß es zwei Tage nach den Massakern außerdem: „Fortschrittliche Kräfte in Palästina werden nicht darum herumkommen […] zu überlegen, inwiefern sie zum aktuellen Zeitpunkt, zu dem die Hamas de facto den israelischen Imperialismus schwächt […] mit [dieser] zusammenarbeiten müssen“. Im Klartext: Eine linke Gruppe ruft zu einer Zusammenarbeit mit der islamistischen Hamas auf – im Wissen um die zahlreichen Massaker, Vergewaltigungen und Entführungen durch die Hamas in den vorangegangenen Tagen. Das alles erscheint nachrangig, solange es gemeinsam gegen Israel geht. In einer Stellungnahme vom 10.10. befürwortet Zora den „kompromisslosen Widerstand des palästinensischen Volkes”. Die „bürgerliche Propagandamaschinerie” spreche angesichts eines „historischen Moments für nationale Befreiungskämpfe weltweit” von „Terroristen”, doch „dann ist der wohl ein Terrorist, der gegen seinen Unterdrücker aufsteht, dessen Gewehr mit dem eigenen begegnet, zurückschießt, wenn auf ihn geschossen wird.”
Weiter heißt es: „Das ist kein Terrorismus, das ist Widerstand, das ist Selbstverteidigung!”, als wäre von feiernden und unbewaffneten Menschen in der Wüste irgendeine Bedrohung ausgegangen. Der „Diskurs um Gewalt an Zivilist:innen” sei eine „Falle des bürgerlichen Individualismus”, zumal die „Siedler selbst eine Komponente der kolonialistischen Kriegsführung, somit kaum Zivilist:innen” seien. Man wolle dem „palästinensischen Befreiungskampf” nicht „aus einem Moralismus heraus den Rücken zukehren”, als sei die Abscheu angesichts der Gräueltaten der Hamas nur das: Moralismus. Was solche Gruppen als Antizionismus bezeichnen, ist nichts anderes als Antisemitismus und Terrorverharmlosung.
Die Kommunistische Organisation wird ebenso deutlich: „Hamas, PFLP, Islamischer Dschihad sind keine Terrororganisationen! Wir stellen uns auch gegen ein Betätigungsverbot der Hamas sowie gegen das Verbot der PFLP in Deutschland.“ Man stehe „fest an der Seite des gesamten Widerstands Palästinas und aller seiner Teile“.
Auch der Kommunistische Aufbau veröffentlichte mehrere Tage nach den Massakern eine Stellungnahme, in der er zwar die Hamas als „reaktionäre Kraft“ bezeichnet, aus seiner Begeisterung für die „Operation“, die „in den letzten Jahrzehnten ihresgleichen“ suche, aber keinen Hehl macht. Mit den „Aktionsformen, […] die zum Tod zahlreicher Zivilist:innen geführt haben“, dürfte die Organisation unter anderem die stundenlangen Hetzjagden auf fliehende Festivalbesucher:innen meinen, die man teilweise in ihren Autos lebendig verbrannte. Seither sind viele weitere derartige Äußerungen hinzugekommen.
Es handelt sich hierbei nicht um einzelne Äußerungen weitgehend isolierter politischer Akteur:innen, sondern um ein ganzes Milieu, dem vielerorts weitere Gruppen angehören und das auch mit anderen Teilen der jeweiligen linken Szenen gut vernetzt ist. Beispielsweise wird die jährliche revolutionäre Demonstration am Abend des 1. Mai in Berlin mittlerweile weitgehend von antisemitischen Gruppen – darunter einige der genannten – dominiert.
Das hinderte in diesem Jahr mindestens 12000 Linke nicht daran, an der Demonstration teilzunehmen. Die größte regelmäßige linke Demonstration in Deutschland ist ein Schaulaufen antisemitischer Akteur:innen. Auch die Unterstützung beispielsweise für Samidoun besteht seit vielen Jahren.
In Münster mobilisierten 2021 die Linksjugend, der SDS und Palästina Antikolonial zu Demonstrationen der Gruppe. In Düsseldorf hat sich die Gruppe RiseUp wiederholt positiv auf Samidoun bezogen, während see red! (IL) und andere Gruppen mit Samidoun-Aktivist*innen gemeinsam an Demonstrationen teilgenommen haben.
Auch an anderen Orten in NRW sind antisemitische Akteur:innen in linke Zusammenhänge eingebunden. Sie waren bzw. sind Teil linker Bündnisse (z.B. Versammlungsgesetz stoppen NRW, Pro Choice Köln, End Fossil Occupy Duisburg, Stonewall Bündnis Aachen), werden zu Veranstaltungen und Konferenzen (z.B. Abolutionismus Konferenz in Köln) eingeladen und nehmen an linken Demonstrationen und Kundgebungen teil, die sie teilweise selbst gemeinsam mit anderen linken Gruppen organisieren.
Ihre Bündnispartner reichen von Uni-Referaten über antirassistische Initiativen bis hin zu Gewerkschaften und Parteijugenden. Es gibt so viele weitere Beispiele, dass wir uns hier auf eine kleine Auswahl beschränken müssen.
Klar ist aber: Antisemitische Gruppen, die aktuell den Terror der Hamas in progressiven palästinensischen Widerstand umdeuten, anstatt sich in aller Klarheit davon zu distanzieren, sind ein etablierter Teil der politischen Linken. Dabei ist die Bagatellisierung bzw. Befürwortung antisemitischen Terrors kein neues Phänomen. Im entsprechenden Milieu gehört ein positiver Bezug auf die Intifada schon lange zum guten Ton, jenen palästinensischen „Aufstand“, der im Falle der 2. Intifada in den Jahren 2000 bis 2005 unter anderem aus über 130 Selbstmordanschlägen in Israel bestand – etwa auf Restaurants, Busse und Diskotheken – und bei dem über 1000 Israelis ermordet wurden. Trotzdem scheint der Antisemitismus jener Gruppen von einem großen Teil der restlichen Linken für eine legitime Position zum „Nahost-Konflikt“ gehalten zu werden, die man womöglich „einseitig“ findet, mit der man sich aber ungern aufhalten möchte – für eine Art Nebensächlichkeit, die man der gemeinsamen Arbeit beispielsweise in antirassistischen oder feministischen Bündnissen unterordnet.
Schriebe jemand über einen rassistischen Massenmord wie Zora über antisemitische Massaker, wäre der Ausschluss aus linken Zusammenhängen eine Selbstverständlichkeit. Dass Positionen wie die genannten innerhalb der Linken akzeptiert werden, zeugt stattdessen von einer spezifischen Empathielosigkeit gegenüber Jüdinnen:Juden wie von der Unfähigkeit, (auch israelbezogenen) Antisemitismus zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. In vermeintlicher Ausgewogenheit wird stattdessen „an beide Seiten“ – die Hamas und Israel – appelliert, die Kämpfe einzustellen, als bestünde kein Unterschied zwischen AntisemitInnen, die den Tod aller Jüdinnen:Juden wollen, und einem bürgerlichen Staat, der unabhängig seiner konkreten Regierung demokratisch verfasst ist und der, anders als die Hamas und anders als ihm unterstellt wird, keine genozidale Politik betreibt, sondern seine Bevölkerung gegen islamistischen Terror zu verteidigen versucht.
Sichtbar wird in diesem Sinne auch die mittlerweile seit Jahrzehnten andauernde Unfähigkeit innerhalb der Linken, eine angemessene Position zum Islamismus zu finden. Die politische Linke hat in ihrer Mehrheit nie eine adäquate Antwort auf die islamistischen Anschläge der Vergangenheit – sei es in New York, Bagdad, Madrid, Kabul, London, Istanbul, Paris oder Berlin, um nur einige zu nennen – gegeben und verweigert in großen Teilen bis heute der iranischen Freiheitsbewegung die Solidarität in ihrem Kampf gegen die islamistischen Machthaber.
Sie hat stattdessen mehrheitlich geschwiegen oder den Islamismus relativiert. Ein beträchtlicher Teil der Linken hat – wie aktuell in Bezug auf die Hamas – in seinem unreflektierten Antiimperialismus noch die widerlichsten AntisemitInnen, Frauen- und Homosexuellenfeinde für ihren angeblich antikolonialen Widerstand gefeiert – als wären es nicht Linke, emanzipierte Frauen sowie religiöse und sexuelle Minderheiten, die unter der Herrschaft von Islamisten in Foltergefängnissen und Massengräbern landen. Eine linke Parteinahme für die Hamas ist auch ein Verrat an den marginalisierten emanzipatorischen Kräften im Gaza-Streifen, die unter der Despotie der Hamas leiden.
Wer antisemitische Anschläge durch deutsche Neonazis hierzulande skandalisiert, aber selbst jetzt noch zu denen hält, die nach dem schlimmsten antisemitischen Pogrom seit der Shoah für die Massaker der Hamas nur entschuldigende oder gar begeisterte Worte finden, macht sich unglaubwürdig. Die politische Linke ist sehr heterogen und es ist im Grundsatz einander zuzumuten, bei aller Kritik Differenzen auszuhalten. Unsere Haltung gegen Antisemitismus aber darf nicht verhandelbar sein.
Es ist im Grunde ganz einfach: Mit Antisemit:innen organisiert man weder Kundgebungen noch sitzt man neben ihnen in Bündnissen, stellt ihnen Räume zur Verfügung oder lädt sie zu Veranstaltungen ein. Wer es mit der Emanzipation nur ansatzweise ernst meint, kann den Antisemitismus, diese massenmörderische Ideologie, nicht dulden, sondern muss die entsprechenden Gruppen konsequent aus allen Zusammenhängen ausschließen, mehr noch: sie als das bekämpfen, was sie sind, nämlich politische Gegner.
Dabei nehmen wir zur Kenntnis, dass die gebotene Distanzierung teilweise bereits stattfindet – etwa durch die Rote Hilfe, die ihre Unterstützung einer Spendenkampagne zugunsten von Samidoun im Oktober eingestellt hat. Trotzdem sind antisemitische Akteur:innen vielerorts weiterhin Teil linker Kooperationen. Dabei darf es nicht bleiben. Als unterzeichnende Gruppen schließen wir jede Zusammenarbeit mit antisemitischen Gruppen aus. Außerdem fordern wir insbesondere die Gruppen, die in der Vergangenheit mit antisemitischen Akteur:innen kooperiert haben, dazu auf, diese Praxis zu überdenken und es uns gleichzutun – in NRW, wo wir selbst tätig sind, aber auch bundesweit.
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